Ich führe meine Gäste in eine andere Welt

Aus dem Buch "Dominas offene Worte" von Arne Hoffmann

 

 

Arne Hoffmann: Varah, du siehst du dich weniger als Domina denn als bizarre Gespielin. Was bedeutet das für dich?

Varah: Eine Domina zu sein würde für mich bedeuten, gänzlich ohne Körperkontakt zu arbeiten und immer aktiv zu sein. Ich aber genieße das Gefühl, zu tanzen zwischen Macht und Unterwerfung und Menschen mit meiner offenen und unkomplizierten Art behutsam und mit einem Lächeln auf den Lippen an ihre Tabugrenzen heranzuführen. Bevor ich anfing, in diesem Bereich zu arbeiten, gab ich vier Jahre lang Tantra-Massagen und hatte dort gelernt, mit der sexuellen Energie zu spielen, sie zu steigern und dann wieder abflauen zu lassen wie Ebbe und Flut. Ich genieße es immer sehr, in sexueller Energie zu baden. Im SM-Bereich lernte ich die bizarre Seite kennen und lieben. Ich spiele gerne im bizarren Bereich, je skurriler und fantasievoller, um so besser. Da bin ich voll in meinem Element, und da ich eh im Großen und Ganzen ein sehr verspielter Typ bin, und die herkömmlichen Bezeichnungen wie z. B. Bizarrlady nicht auf mich passten, bekam ich den Namen »bizarre Gespielin«.

Arne Hoffmann: Du bietest SM ebenso an wie Tantra. Hast du jemals Versuche unternommen, beides miteinander zu verbinden? Wenn ja: Wie genau darf man sich das vorstellen?

Varah: Ja das habe ich und ich tue es immer noch. In meine Arbeit als bizarre Gespielin mit devoten und auch dominanten Gästen lasse ich immer die Tantra-Energie mit einfließen. Für mich ist die Verbindung von SM und Tantra wie die Vereinigung von Licht und Schatten, wobei das eh mein zentrales Lebensthema auf allen Ebenen ist. Erst mal eine kurze Erklärung, was ich darunter verstehe, da ja heutzutage jeder was anders darunter versteht.
Tantra ist ein sanfter behutsamer Weg, sich selbst, seinem ureigenen Wesen zu begegnen, die Energien in unseren Körpern zu spüren, die sexuelle Energie zu wecken, sie zu steigern, mit ihr zu spielen. Dazu gibt es zahlreiche Möglichkeiten. An erster Stelle steht da für mich die Tantra-Massage. Durch unterschiedliche Berührung kommuniziere ich mit den Körpern, erschaffe Räume des Loslassens und des unkontrollierten Gehenlassens – das beinhaltet, dass alles sein darf, was kommen will: Bewegungen, Laute, Orgasmen.
SM ist auch ein Weg zu uns selbst, nur kann man durch SM schneller an die körperlichen und auch psychischen Grenzen kommen. Denn die Berührungen sind anderer Art und die Sinneserfahrungen viel intensiver. Durch z. B. verbundene Augen und bewegungslose Fixierung sensibilisiert auch noch der Aspekt von Spannung unseren Körper und Geist. Im SM sehe ich auch eine Möglichkeit, unseren Ängsten spielerisch in einem Schutzraum zu begegnen und sie eventuell dadurch aufzulösen.
In der Verbindung SM und Tantra ist Raum, alle Gefühle zuzulassen und rauszulassen. Es gibt die Möglichkeit einer SM-Session nach den Wünschen des Gastes, und danach kommt nach der Spannung die Entspannung mit einer Tantra-Massage, oder ich kreiere eine Tantra-Massage mit SM-Elementen, denn der Mix aus Fixierung, Spannung, Erregung, Lustschmerz und Zärtlichkeit ist eine der besten Methoden, aus unserer kontrollierten Welt auszusteigen in unsere Urdimension von ekstatischem freiem Sein.

Arne Hoffmann: Wenn du deine Gäste auf solch intensive Wege geleitet hast – hast du dann schon mal besonders heftige Reaktionen ausgelöst – Abstürze, das Triggern von früheren Missbrauchs- oder Gewalterlebnissen, plötzliches Zurückfallen ins Kleinkindverhalten, Erfahrungen von Subspace oder anscheinend telepathische Verbindungen?

Varah: Warte – das sind ja gleich vier Fragen in einer! Ich beantworte sie mal getrennt, weil es so unterschiedliche Bereiche sind.
Zu Abstürzen und Erinnerungen von Missbrauchs- oder Gewalterlebnissen: Nein, jedenfalls für mich nicht sichtbar oder spürbar, denn ich stecke nicht drin, was mir die Gäste von dem zeigen, was in ihnen vorgeht und was nicht. Aber ich weiß aus meinen eigenen Erfahrungen von frühkindlichen Missbrauchs- und Gewalterlebnissen, dass es sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich ist, dass eine fremde Person so was auslösen kann. Der Grund ist, dass der Gast sich in einer Session nie so tief auf mich einlässt wie z. B. in einer Beziehung oder einem privaten freundschaftlichen Verhältnis – da es ja eine bezahlte soziale Dienstleistung in einem vorher genau abgesprochenen Rahmen ist, mit einem Codewort, das jederzeit eingesetzt werden darf. Es ist ein Schutzraum, wo jeder in erster Linie die Verantwortung für sich selbst trägt, denn wir sind ja erwachsene Menschen. Wenn ich dennoch das Gefühl habe, dass sich ein Gast zu viel zumuten will, spreche ich das offen an und frage nach: wo sein Fokus ist, warum er zu mir gekommen ist und wo er hinmöchte bzw. was seine Wünsche und Fantasien sind.
Zu plötzlichem Zurückfallen ins Kleinkindverhalten: Diese Form der Lust begegnet mir hauptsächlich in der Babyerziehung erwachsener Männer, deren größte Erfüllung es ist, alle Verantwortung über ihren Körper und ihren Geist abzugeben, um einfach wieder an der »Mutter«-Brust saugen zu können, um das verloren gegangene Gefühl der Geborgenheit für eine begrenzte Zeit wieder zu erleben.
Auch die Erfahrungen von Subspace, in der Umgangssprache gerne als »Fliegen« bezeichnet, kenne ich aus beiden Perspektiven, sozusagen von oben und von unten. Durch die Einführung in ein Rollenspiel, in dem ich abwechselnd mit Körper, Psyche, Lust und Schmerz spiele und alles wohldosiert einsetze, kann ich mein Gegenüber unter Berücksichtigung seiner vorher mit ihm abgesprochenen Vorlieben und Tabus in eine andere Welt führen. In diesem Raum kann er sich dann vollkommen seinen Trieben, seiner Lust, seinen Gefühlen hingeben und sich sicher fühlen, weil ich auf ihn aufpasse. Da mein Gegenüber dann wahrscheinlich nicht mehr aus dem Kopf heraus reagiert und handelt, sondern eher aus dem Bauch, d. h. aus seinem Gefühl heraus, ist es sehr wichtig, ihn in dieser Situation nicht aus den Augen zu lassen. Diese »Flugerfahrung« ist eine ursprüngliche Form von Sein, die in unserer Gesellschaft leider gänzlich in Vergessenheit geraten ist. Sie ist aber ungeheuer wertvoll, da dieser »Rauschzustand des Fliegens« völlig ohne Drogen, Alkohol oder chemische Mittel, die nur die Funktion haben, unserem Alltag zu entfliehen, sondern allein durch die Ausschüttung der körpereigenen Drogen in einer Schmerz-Lust-Situation erreicht wird. Die Bereitschaft, sich dieser Erfahrung auszusetzen, sich dem aktiven dominantem Gegenüber für eine begrenzte Zeit vollständig hin¬zugeben, auszuliefern, anzuvertrauen, kann unser verloren gegangenes Urvertrauen und somit unsere angeborene Fähigkeit zur Ekstase zurück¬
bringen.
Was schließlich telepathische Verbindungen angeht … hm … ich würde es eher Energien nennen, denn alles um uns herum ist Energie und lebt auf seine Weise. Die stärkste Energie ist die Energie unserer Gedanken. Sie können uns den Himmel oder die Hölle auf Erden bescheren. Und alle diese Energien stehen in Verbindung miteinander, auch alle Menschen – manche mehr, manche weniger, das kommt auf den Grad ihrer Verbindung an. Je weiter man sich einem anderen Menschen öffnet, der dann das gleiche tut, um so mehr steht man in Verbindung. Es ist wie ein unsichtbares Band zwischen Menschen, die sich nahe stehen. Wie könnte es sonst sein, dass einer das ausspricht, was der andere gerade denkt, oder genau in dem Moment anruft oder vor der Tür steht, wenn ich an ihn denke oder um¬gekehrt? Das bewirkt dieses Energieband. Die, die nicht daran glauben, nennen es Zufall. Aber ich bin der Meinung, Zufälle gibt es nicht. Bei besonders großer Sympathie tauscht man sogar die Stimmlagen und spricht dann im gleichen Tonfall wie der geliebte Mensch, oder man übernimmt fast automatisch seine Redensarten. Natürlich können diese Energieverbindungen auch in einer Session mit einem Gast entstehen, lösen sich aber in den meisten Fällen wieder automatisch einige Zeit nach der Begegnung. Je intensiver jedoch die beiderseitige Begegnung war, um so länger bleibt sie uns im Gedächtnis. Deshalb kann es schon passieren, dass wir den anderen mit unseren Gedanken »rufen«. Das könnte man dann auch als Telepathie bezeichnen.

Arne Hoffmann: Du hast berichtet, du würdest Menschen gerne an ihre Tabugrenzen heranführen. Magst du ein bisschen schildern, wie du dabei vorgehst?

Varah: Ja, gerne. Zuerst habe ich mir mal Gedanken gemacht, was ein Tabu überhaupt ist. Ich denke, Tabu ist eine Definition von Dingen, mit denen Menschen sich nicht beschäftigen wollen und die sie vielleicht auch überfordern. Das können Dinge sein, die ungute Gefühle auslösen wie Angst, Ekel etc. Kurz gesagt: Tabu ist alles, womit man nichts zu tun haben will. Ich differenziere da aber ganz klar zwischen Tabus und Straftaten. Handlungen, bei denen eine andere Person gegen ihre Willen körperlich oder psychisch verletzt wird, würde ich niemals harmlos als Tabu de¬klarieren.
Viele Tabus fangen beim eigenen Körper an, traurig aber wahr! Viele ekeln sich vor sich selbst und dem, was sie in bestimmten Situationen von sich geben: alle Körperprodukte, auf die wir als Kind stolz waren und über die wir uns freuten, wie Schweiß, Speichel, Urin und Kot. Wir haben uns so sehr davon entfremdet, dass sie heute tatsächlich bei einem erschreckend großen Teil der Menschen als Tabu gelten. Und das gilt auch noch als normal in dieser Gesellschaft.
Nur – der Knackpunkt dabei ist: Wie können wir unseren Partner in einer sexuellen Begegnung voll und ganz annehmen und ihm/ihr das Gefühl geben, er/sie darf da sein mit allem, was er mitbringt? Wenn wir uns vor uns selber ekeln, vor unseren eigenen Ausscheidungen, unseren Körper¬düften, werden wir dieses Gefühl auch auf den anderen übertragen. Deswegen wird heutzutage so viel für teure Parfüms ausgegeben. Die Parfümindustrie floriert, weil alle gut riechen wollen, damit sich andere Menschen zu ihnen hingezogen fühlen. Die natürliche Anziehung, der natürliche Eigengeruch unseres Gegenübers geht dabei förmlich in einer betörend duftenden Parfümwolke unter. Die Folge davon ist, wir können uns nicht mehr riechen, wie wir auch gar nicht mehr wissen, wie der andere tatsächlich riecht.
In meiner Arbeit versuche ich, meine Gäste spielerisch an ihre Tabu¬grenzen heranzuführen und den Ekel vor dem eigenen Körper aufzulösen. Dabei finde ich schon im Vorgespräch mit humorvoller Leichtigkeit durch diverse Fragen heraus, wo die Tabus meines Gegenübers wirklich liegen. Das drückt sich nicht nur durch Sprechen aus, sondern auch durch Körperhaltung, Mimik und Gestik. Da ich mich jahrelang mit solchen Praktiken, meine Mitmenschen zu studieren, befasst habe, kann ich sozusagen, wenn die Stimme verstummt, aus Gesicht und Körperausdruck lesen, und das ist oftmals eine klarere Aussage, als es Worte je könnten.
Meine Lieblingsantwort auf die Frage an meinen Gast »Was hast du für Tabus?« ist »Ich habe keine Tabus.« Da frage ich dann schon innerlich schmunzelnd weiter und zähle absichtlich Bereiche auf, wo die meisten angewidert das Gesicht verziehen. Spätestens dann finden wir ganz schnell seine Tabus. Aber natürlich nie alle auf einmal. Vieles liegt noch im Verborgenen, weil es vielleicht noch keine Gelegenheit gab, es auszuprobieren, oder man noch nie an so was gedacht hatte. Wer kennt sich heute schon wirklich?
Einige Tabus können auch noch während eine Session auftauchen, die ich dann natürlich immer respektiere, z. B. wenn vom Codewort Gebrauch gemacht wurde oder ich intuitiv spüre, dass das jetzt eine Grenze ist, deren Überschreitung in der jeweiligen Situation nicht gut wäre. Ich lasse mich da innerhalb des vorher besprochenen Rahmens weitestgehend von meinem Gefühl leiten. Gerne baue ich solche »Sprünge über Tabus« in Sklaven¬bestrafungen und Züchtigungen mit ein. Auch der Satz vieler Sklaven »Herrin, für Sie würde ich alles tun!« erzeugt so etwas in mir wie Schadenfreude im positiven Sinne. Wer das zu mir sagt, wird auf jeden Fall gründlich getestet im Bereich seiner körperlichen Tabugrenzen. Das kann dann alles mögliche beinhalten, z. B. dass der Sklave sein eigenes Sperma vom Boden auflecken oder ins Glas pinkeln und es danach austrinken muss – und noch einige Möglichkeiten mehr, die ich hier nicht alle verraten will. Erstaunlich dabei ist, dass der Sklave sich dabei vor seinem eigenen Urin mehr ekelt als vor dem doch fremden Urin der Herrin. In diesem Fall springt er meiner Meinung nach gleich über zwei Tabugrenzen. Dabei ist für mich immer wieder erstaunlich, was Menschen scheinbar plötzlich mühelos alles fertigbringen bei entsprechender Vorbereitung und in einem entsprechenden Rahmen. Wenn ich ihnen im Vorgespräch gesagt hätte, was sie nachher anstandslos alles tun würden, hätten sie mir wahrscheinlich den Vogel gezeigt.

Arne Hoffmann: Wie geht es deinen Gästen damit, dass du sie über ihre Tabugrenzen geführt hast? Kommen sie jemals wieder? Oder besuchen dich einige gerade deshalb?

Varah: Wie es meinen Gästen damit geht, weiß ich nur, wenn sie es mir erzählen. Das tun leider die wenigsten. Wenn ich unsicher bin, frage ich auch im Nachgespräch. Was ich oft wahrnehme: Wenn Menschen ihre Tabugrenzen überwunden haben, liegt eine gewisse Stärke, die von innen nach außen strahlt, ein Ausdruck von Befreiung in ihrem Gesicht. Viele wirken jünger, frischer, ihre Augen leuchten voller Erstaunen – als wollten sie sagen: Das hätte ich nicht gedacht, dass ich das kann, das machen würde und vielleicht noch Lust dabei empfinden könnte. Der Kick, etwas Verbotenes, Unanständiges zu tun, um danach wieder in ihren Anzug zu steigen und wieder in ihren oft tristen Alltag zurückzukehren – aber die Erinnerung daran bleibt. Ein gewisser Kick bleibt im Kopf. Niemand da draußen weiß, was ich gerade getan habe – das ist etwas sehr Reizvolles, das weiß ich aus Erfahrung.
Meistens ist die gedankliche Theorie der Überwindung von Tabus viel von Ängsten, Ekel etc. überschattet. In der Praxis schaffe ich einen Rahmen; da tut man es oft einfach und denkt vielleicht erst hinterher darüber nach. Wie so oft in anderen Bereichen des Lebens ist das Denken auch hier oftmals problematischer als das Tun.
Es ist unterschiedlich, ob sie wiederkommen oder nicht nach so einer Erfahrung, ob sie weitergehen wollen und Lust bekommen haben, sich noch tiefer zu erfahren, Neues auszuprobieren, oder erst mal genug haben. Über diese Gründe kann ich nur Vermutungen anstellen, weil die wenigsten offen darüber sprechen. Auch wenn sie nicht wiederkommen, kann das alle möglichen Gründe haben. Zum Beispiel: Sie haben herausgefunden, dass das Ausleben dessen, was sie die ganze Zeit im Kopf hatten, nicht die gleiche Erfüllung brachte wie die bloße Vorstellung davon. Oder sie lieben die Abwechslung, die Vielfalt und gehen nie zweimal zu der gleichen Frau, brauchen jedes Mal aufs Neue das Abenteuer des unbekannten Gegenübers, was ja auch eine gewisse Spannung erzeugt. Die Gäste, die wiederkommen, wollen entweder weitergehen auf diesem Weg, um damit zu experimentieren und ihre wirklichen Grenzen herauszufinden, oder sie fanden Gefallen an dem Spiel der eigenen Grenzerfahrung und brauchen dazu einfach eine Person, die ihnen von Mal zu Mal immer vertrauter wird, um diese Form von Intimität voll auszukosten und sich vertrauensvoll fallen zu lassen.

Arne Hoffmann: Soviel zu den Männern. Wie hat dich selbst deine Tätigkeit als bizarre Gespielin seelisch verändert?

Varah: Hm … was soll ich dazu sagen? Alles verändert sich, verändert mich Tag für Tag. Das Leben ist Veränderung. Deshalb ist es schwer, einen Bereich herauszugreifen, der mich alleine verändert haben soll.
Aber okay, ich versuch’s: Seit ich eine bizarre Gespielin bin, ist noch mehr unbeschwerte Leichtigkeit in mein Leben gekommen. Mein Spieltrieb wurde neu belebt. Ich spüre mich sehr in meiner Lust, meinem Körper, genieße das Spiel der Körper, die Spaß miteinander haben. Ich genieße den offenen lust-igen, lust-vollen Umgang mit Tabuthemen in diesem Bereich, wo es manchmal schon etwas ungewöhnlich und »unnormal« zugeht, denn konservative Normalität ist für mich auf Dauer unerträglich. Aus meinem Beruf wurde meine Berufung, die mich auch seelisch berührt. Ich wachse daran und entwickle mich weiter – zusammen mit den Menschen, denen ich begegne, die sich mir öffnen und mir ihre intimsten Wünsche und Vorlieben anvertrauen. Und ich darf sie gemeinsam mit ihnen in die Tat umsetzen. Das ist ein unermessliches Geschenk für mich. Ich sehe es auch nicht als Arbeit. Es ist mein Spielplatz, wo ich andere dazu animiere, spielerisch zu sein, aus sich herauszugehen und etwas zu wagen. Aus Vertrauen wird dann Zutrauen, und das Erforschen von Fantasien, Bedürfnissen und Grenzen ist auch oft mit viel Experimentierfreude und Humor verbunden. Natürlich nur wenn es in die Vorstellung, zu seiner momentanen Verfassung und zum Menschentyp des Gegenübers passt. Ich stelle mich da individuell immer wieder auf jeden Gast neu ein und hole ihn dort ab, wo er ist. Denn ich kann auch streng und konsequent auf meine Art sein. Aber nie ohne die Freude in meinem Inneren, wieder einem Menschen, der zu mir gekommen war, die Gelegenheit zu geben, mit mir zusammen den Raum seiner Kopfgeburten zu betreten, in dem ich oft auch als Geburtshelferin fungiere, auch wenn er noch gar nicht weiß, was geboren werden will. Ich kann im Großen und Ganzen sagen, dass ich noch einfühlsamer, wachsamer, verständnisvoller geworden bin im Umgang mit den verletzlichen Themen, Vertrauen, Intimität, Grenzen bei meinen Gästen und bei mir selbst. Denn ich lerne, wachse und entwickle mich Tag für Tag durch meine Erlebnisse und Erfahrungen ein Stückchen mehr. Und da ich sehr offen und interessiert bin, meine Mitmenschen zu erleben, zu erfahren und vielleicht auch zu verstehen, genieße ich es mit meinen Gästen, mit Hilfe meiner Intuition immer wieder neue, manchmal auch ungewöhnliche Wege zu Befreiung und Erfüllung zu gehen.

Arne Hoffmann: Wie wirkt sich all das auf dein Privatleben aus?

Varah: Das wirkt sich so aus, dass ich genau so wie jeder Mensch hier auf der Welt das Bedürfnis habe, eines Tages eine richtige Beziehung zu
haben, einen Partner zu finden, der mich mit all dem annimmt und so liebt, wie ich bin.
Aber das ist leider ein schwieriges Thema für die meisten Männer: sich auf so eine Frau wie mich einzulassen. Dass ich auch noch sehr selbstbestimmt und freiheitsliebend bin, macht die Sache nicht gerade einfacher. Und dass ich diesen Beruf auch nicht nur als Beruf zum Geldverdienen mache, sondern als meine Berufung sehe, trägt noch mehr zu Verwirrung und manchmal Unverständnis bei. Vielleicht bekommt man von mir den Eindruck, ich bin so erfüllt von meinem Beruf, dass ich keinen Partner bräuchte, sich der Partner überflüssig fühlen könnte, weil ich dort ja alles habe. Aber der Sex, den ich in meiner »Arbeit« lebe, ist ein Unterschied wie Tag und Nacht zum Sex in einer Liebesbeziehung. Es mag wohl die absolut gleiche Handlung sein, aber niemals das gleiche Gefühl, weil keine emotionale Nähe da ist. Manchmal sage ich zu den Männern, die das nicht verstehen können oder wollen: Diese Arbeit ist für mich ein rein körperliches spielerisches Vergnügen. Ich verkaufe auch nicht meinen Körper, sondern ich arbeite mit ihm. So wie ein Postbote mit seinem Fahrrad die Briefe ausfährt, ist mein Körper mein Gefährt zu meinen Gästen, das ich ihnen zum Spielen und Neue-Erfahrungen-Machen zur Verfügung stelle. Dann kommt meistens das Thema Eifersucht und Besitzanspruch ins Spiel, aber ich will nicht mehr darum kämpfen müssen, so genommen zu werden, wie ich bin, oder existenzielle Opfer bringen zu müssen um des lieben Beziehungsfriedens willen, nur damit ein Mann bei mir bleibt. Was sowieso Unsinn ist, weil: Mich gibt es nur ganz oder gar nicht. Ich glaube, richtig alleine werde ich niemals sein mit dem Freundeskreis, den ich im Laufe der Jahre um mich herum aufgebaut habe, sozusagen als liebevolle Ersatzfamilie, die mich bedingungslos so akzeptiert und schätzt wie ich bin. Das ist ein tolles Umfeld, in dem ich sehr viel bekomme, wo ich mich inspiriert und bereichert fühle. Und doch, trotz allem, ist da immer noch die Sehnsucht nach einem Zuhause, nach Zugehörigkeit, nach »meinem Mann« …

Arne Hoffmann:
Du arbeitest ja auch als Sexualbegleiterin mit Behinderten. Was kannst du uns darüber erzählen?


Varah: Ich kann nur sagen, dass mich diese Arbeit zutiefst in Herz und Seele berührt und noch eine größere Berufung für mich ist. Es sind ja sozusagen Gleichgesinnte – mit dem einzigen Unterschied, dass ihre Verletzungen sichtbar sind, im Gegensatz zu den Narben auf meiner Seele, die meine Kindheitsgeschichte hinterlassen hat.
Es erfüllt mich sehr, diesen Menschen etwas geben zu dürfen, was sie vielleicht schon abgeschrieben oder wo sie resigniert hatten, weil sie es nie bekommen haben. Weil ihre Mitmenschen sich nicht zu nicht alltäglich aussehenden Körpern so hingezogen fühlen, um sie berühren zu wollen, sich von ihnen berühren zu lassen oder gar Sex mit ihnen zu haben. Aber es sind nicht nur gefühllose Körper, es sind Menschen, die sich dadurch abgelehnt und ausgestoßen fühlen.
Ich habe keine Angst vor Andersartigkeiten. Es ist für mich immer eine Herausforderung, andere Welten zu betreten, und ich bin der Meinung, man kann überall Schönheit erkennen, denn Schönheit ist niemals äußerlich. Sie kommt von innen und strahlt nach außen. Schönheit wird sichtbar durch kleine Dinge, die wir nur sehen, wenn wir wachsam, offen und bereit sind hinzuschauen. Tag für Tag begleiten mich strahlende Augen, entspannte, erfüllte und erleichterte Gesichter und Körper auf dem Weg meiner Tätigkeit als Sexualbegleiterin. Ich erlebe behinderte Menschen oft authentisch und direkt im Ausdruck ihrer Wünsche und Bedürfnisse. Sie sind für mich Meister des Lebens, sehr erprobt in Schmerz, Problem- und Lösungserfahrung und sich damit offen zu zeigen, denn verstecken lässt sich eine Behinderung meist nicht. Viele Nichtbehinderte haben Angst vor der Tatsache, dass es ihnen auch so ergehen könnte, schneller, als sie vielleicht gedacht hätten. Deswegen schauen sie so oft weg, denn wie schnell passieren heutzutage Unfälle mit lebenslangen Folgen. Durch Angst, Ignoranz und Mitleid unserer nichtbehinderten Mitmenschen werden diese Menschen am meisten verletzt und bestraft für ihr Schicksal, das sie meist gar nicht selbst verschuldet haben. Es ist ein absolutes Armutszeugnis unserer Gesellschaft, ein trauriges, unmenschliches Bild, andere Menschen aufgrund ihrer Behinderung, ihres Aussehens oder ihres andersartigen Verhaltens auszugrenzen. Dieser Problematik möchte ich etwas entgegensetzen, durch die Legalisation und Integration ihrer völlig natürlichen Bedürfnisse nach körperlicher Nähe, Berührung, Zärtlichkeit und Sexualität. Behinderte Menschen sind Menschen wie du und ich, keine Wesen vom anderen Stern, die das alles nicht brauchen oder keine Sehnsucht danach verspüren. Im Gegenteil: Durch die große Tabuisierung ihrer sexuellen Bedürfnisse in unserer Gesellschaft wird die Sehnsucht, die im Verborgenen schwelt, ihre Sexualität real auszuleben, immer größer und unüberschaubarer. Ich freue mich, dass es Menschen gibt, die dieses Problem in die Hand nehmen und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln daran arbeiten, dass sich diese Situation verbessert. Ich bin auch ein Mensch, dem sehr viel daran liegt, und ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um die Isolation behinderter Menschen in unserer Gesellschaft aufzulösen, damit sie sich als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft fühlen und uns neue Anregungen, Sichtweisen und Wege näherbringen können, mit Krisen und Problemen und überhaupt mit dem Leben selbst umzugehen. Wir sollten unsere Augen und Ohren öffnen, um bewusst wahrzunehmen, welche Einzigartigkeit und Individualität in jedem von uns steckt, ob behindert oder nicht behindert.

Arne Hoffmann: Wie stellst du dir deine Zukunft vor – hast du bestimmte Pläne?

Varah: Hm … wo fange ich am besten an? Bei dem Thema, was mir gerade am meisten am Herzen liegt.
Ich möchte Ansprechpartnerin für Sexualbegleitung behinderter Menschen in Baden-Württemberg sein. Ich möchte dieses Thema behutsam in die Öffentlichkeit bringen durch Infoabende in Behinderteneinrichtungen, Interviews über diese oft falsch oder missverstandene Arbeit geben und durch Öffentlichkeitsarbeit in jeglicher Form Unsicherheiten und Ängste abbauen. Ich möchte noch mehr Menschen, Männer und Frauen, finden, die die gleiche Intention haben und bereit sind, mit mir in diesem Bereich zusammenzuarbeiten, denn Sexualität ist ein menschliches Grundbedürfnis, das jedem zusteht.
Im Bereich SM und Tantra möchte ich neue Varianten erfinden, diese scheinbaren Gegensätze zu kombinieren. Ich möchte neue Möglichkeiten zum Stress- und Spannungsabbau entwickeln, damit wir mehr aus dem Denken herauskommen – zurück ins Fühlen, unserem eigentlichen Ursprung.
Ich möchte SM für Frauen anbieten als einen Weg, eine Möglichkeit, in ihre weibliche, wilde Urenergie zurückzufinden; geschützte Räume schaffen, wo Menschen sich gehen lassen können mit allem, was da ist; unseren Schattengefühlen einen konstruktiven Rahmen schaffen, um sie zulassen und rauslassen zu können. Das befreit ungemein (das weiß ich aus Erfahrung) und setzt blockierte Energie wieder frei. Immer mehr Lösungsmöglichkeiten kreieren, um vom Schatten wieder ins Licht zu kommen, ohne dabei Gefühle unterdrücken zu müssen. Missbrauchs- und andere Gewaltopfer unterstützen mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln (Gespräche, Coaching, Rollenspiele aller Art, Tantra-Massagen etc.). Selbstheilungsmöglichkeiten weitergeben, um Blockaden und Verletzungen zu spüren und eventuell aufzulösen. Workshops für Paare mit dem Schwerpunktthema liebevolle Kommunikation in der Partnerschaft; wie Missverständnisse, wenn man nicht aufpasst, schnell zu ausgewachsenen Problemen werden können. Dabei aus meinem reichen Beziehungs-Erfahrungsschatz schöpfen, das Wissen, das Bewusstsein, meine Erkenntnisse an andere weitergeben durch Gespräche, Coaching, Bücher, die ich herausbringe, am liebsten Gemeinschaftsprojekte mit befreundeten Künstlern – mit Themen, die die Welt und die Menschen bewegen. Mit Gleichgesinnten eine neue Welt erschaffen, wo Attribute wie Zusammenarbeit, gegenseitige Inspiration und Unterstützung keine Fremdwörter sind. So, wie ich in der Lebensgemeinschaft, in der ich zur Zeit lebe und die ich so lange wie möglich erhalten möchte, mich ständig neu finden, er-finden, meiner Intuition und meinem Herzen folgen und gespannt sein will, wo es mich noch überall hinführt …… und am liebsten noch alle meine Ideen und kreativen Einfälle verwirklichen. Aber da müsste ich wohl ewig leben.


Bezugsquelle:http://www.marterpfahlverlag.com/Autoren-F-J/offene-worte-dominas.html, hier findest Du auch das Cover, ISBN Nr. und Preis des Buches.